Universität Bonn

Katholisch-Theologische Fakultät

25. November 2023

Internationaler Aktionstag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen 2023 25.11.: Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen

Anlässlich des Internationalen Aktionstag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November 2023 hat die Arbeitsstelle für theologische Genderforschung (ATG) ein Interview mit Frau Prof.in Dr. Ute Leimgruber und Magdalena Hürten (Universität Regensburg) geführt. Beide beschäftigen sich im Rahmen der Forschungsgruppe ,Hidden Patterns. Missbrauch an Frauen in der katholischen Kirche‘ mit Gewalt an erwachsenen Frauen im Umfeld der Katholischen Kirche. Im Oktober 2023 stellte das Team der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik der Universität Regensburg in Kooperation mit dem KDFB auf ihrem Portal missbrauchsmuster.de das Online-Tutorial Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche vor. Im Interview berichten beide von Anliegen, Zielen und der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Forschung des Tutorials.

Missbrauchsmuster
Missbrauchsmuster © 2022 Prof.in Dr. Ute Leimgruber
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Interview

ATG: Welche Ziele verfolgt das Portal missbrauchsmuster.de und wie ist es entstanden?
 
Ute Leimgruber: Wir haben in unserer Forschung festgestellt, dass Missbrauch an erwachsenen Personen in der katholischen Kirche, besonders an Frauen, enorm weit verbreitet ist und dennoch in der Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit erhält. Teilweise werden Fälle erst dann als Missbrauch anerkannt, wenn es nicht mehr anders geht, man spricht von bedauernswerten Einzelfällen oder verharmlost die Vorkommnisse als “Affäre”. Viel zu oft werden erwachsene Menschen nicht einmal als potenzielle Missbrauchsbetroffene wahrgenommen: Wenn z. B. die diözesanen Missbrauchsgutachten in ihrem Studiendesign lediglich Kinder und Jugendliche  als Opfer definieren, sind andere Opfer und Taten unsichtbar – und damit sind auch die diesbezüglichen Strukturen und Strategien der Täter*innen nicht sichtbar. 
Magdalena Hürten: Das Portal hatte zunächst den Fokus, dieses noch recht junge Forschungsfeld zu einem kaum beachteten Thema einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wir kommunizieren damit unsere wissenschaftliche Arbeit und unsere multidisziplinären Forschungen – die ja in vielfacher Weise kirchlich und gesellschaftlich hoch relevant sind.
Ute Leimgruber: Das Portal hat drei große Bereiche:  – unter “forschen” geben wir Einblick in unsere Forschung, die in den vergangenen Jahren einen großen Output hatte – unter “erzählen” präsentieren wir Dokumente von Betroffenen (v.a. Ausschnitte aus “Erzählen als Widerstand”, darunter auch Audio-Mitschnitte), weil es unser Arbeiten ausmacht, dass wir die Betroffenenperspektive priorisieren – und unter “lernen” findet sich das Herzstück des Portals: Das Online-Tutorial “Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche.”  
 
ATG: Woher kam die Idee, ein Online-Tutorial zur Missbrauchsprävention zu erstellen? Was erhoffen Sie sich vom Tutorial? Wo sehen Sie Stärken und Schwächen? 
 
Magdalena Hürten: Die Idee hinter dem Tutorial, das aus einer Kooperation zwischen der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik der Universität Regensburg und dem KDFB entstand, war, eine Lücke in bestehenden Präventionsschulungen zu schließen. Diese thematisieren in der Regel nur sexualisierte Gewalt an Minderjährigen und Schutzbefohlenen. Wir leisten mit dem Tutorial einen unverzichtbaren Beitrag zu größeren Präventionsbestrebungen, wie sie die Bischöfe immer wieder ansprechen und wie es auch der Handlungstext des Synodalforums III „Maßnahmen gegen Missbrauch an Frauen in der Kirche“ gefordert hat, und erhoffen uns, dass das Thema Missbrauch an erwachsenen Frauen in die Präventionsarbeit von Bistümern, Ordensgemeinschaften und Verbänden aufgenommen wird. 
Unser Ziel ist es, dass User*innen ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass auch Erwachsene Missbrauch erfahren können, dass sie Berichte über Missbrauch ernst nehmen, wenn sie damit konfrontiert werden, sensibel für die Bedürfnisse Betroffener sind und sie ggf. darin unterstützen können, weitere Hilfe zu finden.  
Das Tutorial ist komplett online und zeitlich flexibel zu absolvieren und für die User*innen kostenlos. Besonders zentral ist im Tutorial  die Verbindung zu neuesten Forschungserkenntnissen und der enge Bezug zu Betroffenenberichten. So schwerwiegend die Erfahrungen sind, die Betroffene machen mussten, sie haben dadurch ein besonderes Wissen über Missbrauch, das essenziell ist, um die Zusammenhänge zu verstehen und die Aufarbeitung, Intervention und Prävention zu verbessern. 
 
 
ATG: Das Portal – insbesondere der Name des Portals – bezieht sich auf Muster, sog. „hidden patterns of abuse“ – was genau ist unter diesen zu verstehen und wie wirken diese?
 
Ute Leimgruber: Wir haben sehr bald erkannt, dass  die Unsichtbarkeit erwachsener Betroffener im öffentlichen Diskurs auf Prozesse gesellschaftlicher, kirchlicher und theologischer Wissensproduktion zurückzuführen ist:  Was wissen wir über Missbrauch, und was wollen wir (nicht) wissen? Wie entsteht Wissen über Missbrauch? Und wie wird darüber kommuniziert? Im Sprechen über Missbrauch verbergen sich also immer Muster, die Menschen und ihre Lebensbedingungen zu betrachten, ihre Verletzbarkeiten, Beziehungen und ihre Rollen in Kirche und Welt. In unseren Forschungen identifizieren wir solche Muster, die unhinterfragt gelten und in Theologien, Geschlechterstereotypen oder kulturellen Gewohnheiten wirken. Unsere Forschung ist eine Tiefenbohrung nach diesen „unsichtbaren Normen“ und „verborgenen Mustern“. Wir sprechen von “hidden patterns”. Dabei können wir unterschiedliche Ebenen von “hidden patterns” erkennen. 
Magdalena Hürten: Gerade bei Prozessen kirchlicher und theologischer Wissensproduktion gibt es Muster, die die Unsichtbarkeit von Gewalt und Missbrauch an Frauen mitproduzieren, die sog. „hiding patterns“. Dazu gehören z. B. Vorstellungen, die die Menschen und ihre Lebensbedingungen, ihre Verletzbarkeiten, Beziehungen und ihre Rollen in Kirche und Welt bewerten und normieren. In unserer Forschung identifizieren wir Muster, mit denen ein System epistemischer Ungerechtigkeit offenbar wird, das u. a. das Wissen der Betroffenen über den Missbrauch und ihre Hinweise auf den Missbrauchscharakter der Taten von vornherein ausschließt.  
Ute Leimgruber: Epistemische “hidden patterns” zeigen sich z. B. an der Deutung der Beziehung zwischen den Beteiligten, wenn durch den Begriff „sexuelles Verhältnis“  Konsens und erotische Lust suggeriert und Machtasymmetrien bzw. die von Betroffenen häufig erlebte Gewaltförmigkeit verschleiert werden, oder am Verständnis von Seelsorge, die lange Zeit als quasi machtfreier Raum der begleitenden Nähe idealisiert wurde, so dass die Vulneranz, d. h. die Manipulations- und Verletzungshaltigkeit des Settings, nicht zu sehen waren. 
Magdalena Hürten: Viele Fälle ähneln sich auf erschütternde Weise, es ist, als würden sie einem „hidden script“, einem versteckten Drehbuch folgen. Man kann dies gut am Handeln der Täter*innen aufzeigen. Häufig begründen sie ihre Taten teils bis in den Wortlaut hinein gleich, z. B. indem sie auf ihre Autorität als Seelsorger*in verweisen („ich weiß, was gut für dich ist“), spirituelle Bilder und Argumente benutzen, um Frauen sexuell verfügbar zu machen („das ist Gottes Liebe für dich“), oder ihre Taten spirituell legitimieren („Gott will das so“). 
 
ATG: Sind diese Muster, die Sie in Ihrer Forschungsarbeit identifizieren konnten, geschlechtsspezifisch?   
 
Ute Leimgruber: Viele Täter machen sich kulturelle hidden patterns zunutze, hier erkennen wir häufig geschlechtsspezifische Faktoren. Wir reden von Mustern, die in unser Denken und Handeln, in Körper, Dinge und Phänomene eingewoben sind, ohne als solche sichtbar zu sein, dazu gehören auch Geschlechterstereotype wie z. B. das Bild der sanften, hingebungsvollen, fürsorgenden Frau, die ihre eigenen Bedürfnisse denen der anderen hintanstellt oder Mythen über Vergewaltigung und konsensuellen Sex. Wir arbeiten dezidiert mit einem gendertheoretischen Ansatz, der die besonderen Machtverhältnisse berücksichtigt, die durch traditionelle Geschlechterbilder und die kirchliche Lehre von den Geschlechtern entstehen. Uns geht es darum, die spezifischen Erfahrungen von Frauen sichtbar zu machen und zugleich die zugrundeliegenden Geschlechterstereotype zu kritisieren. 
 
ATG: Welche zentralen Maßnahmen sind vor dem Hintergrund Ihrer Forschungsergebnisse zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen in der Katholischen Kirche zu ergreifen?
 
Ute Leimgruber: Der bereits erwähnte Handlungstext des Synodalforums III hat einige konkrete Maßnahmen genannt, die wir unbedingt unterstützen. Es braucht Rechtsordnungen und pastorale Standards zu Prävention von und Umgang mit sexuellen Übergriffen in der Seelsorge, durch die u. a. klargestellt wird, dass jede sexuelle Handlung von Seelsorger*innen mit den begleiteten Personen als sexueller Missbrauch bzw. PSM (professional sexual misconduct) zu behandeln ist. Es braucht Schutzkonzepte und wirksame Verhaltenskodices, die auch im Blick auf erwachsene Personen eindeutige und überprüfbare Qualitätsstandards in der Seelsorge festlegen. Seelsorgliche Kontexte sind analog zu den in § 174c StGB aufgeführten professionellen Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnissen anzusehen, in denen jede sexuelle Handlung strafbar ist – hier wünschen wir uns eine entsprechende Gesetzesänderung des StGB, das bislang Seelsorge nicht explizit nennt. Es braucht finanzielle Maßnahmen zur Unterstützung der Betroffenen, gut finanzierte Anlaufstellen und die Thematik muss in die Ausbildung aller pastoralen Mitarbeiter*innen verpflichtend implementiert werden. 
Magdalena Hürten: Es ist offenkundig, wie vielfältig das Problem ist. Missbrauch und Gewalt im Geschlechterverhältnis werden leider nicht beseitigt werden können. Umso wichtiger ist es, für das Phänomen zu sensibilisieren und es anzuerkennen, es braucht also eine echte awareness in Kirche und Gesellschaft, Verantwortliche müssen strukturelle Risikobedingungen identifizieren und beseitigen, die Diözesen brauchen ein ernstgemeintes Risikomanagement. Wie wichtig das ist, wurde besonders im Hinblick auf spirituellen Missbrauch deutlich – hier haben die Bischöfe ja mit einem Arbeitspapier reagiert. 
 
 
ATG: Unser Eindruck bei der Recherche war, dass dem Themenkomplex Gewalt/Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche lange vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zugekommen ist. Teilen Sie diese Beobachtung und wenn ja, worin liegt dieser Umstand begründet? 
 
Magdalena Hürten: Ein wichtiger Faktor liegt in den hiding patterns begründet, auf die wir ja bereits eingegangen sind. Toxische Frauenbilder und Vergewaltigungsmythen verhindern, dass Missbrauch an Erwachsenen als solcher anerkannt wird. Sie machen es für Betroffene besonders schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen, da sie damit rechnen müssen, dass ihnen nicht geglaubt wird, sie als Lügnerinnen dargestellt werden oder dass ihnen unterstellt wird, sie hätten die*den Täter*in verführt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Frauen immer wieder über Missbrauch gesprochen haben, den sie erleben mussten, doch häufig schenkte man ihnen keinen Glauben, hörte ihnen nicht zu oder ordnete die Schilderungen als konsensuelles Verhältnis zwischen zwei erwachsenen Menschen ein. 
Ute Leimgruber: Erschwerend kommt hinzu, dass es in der katholischen Kirche keine ausreichenden hermeneutischen Grundlagen für die Einordnung der Taten als Missbrauch gibt. Es fehlen Konzepte für spirituelle und sexuelle Selbstbestimmung, die die Missbrauchstaten als Unrecht an den Betroffenen erkennen lassen, als Verletzung ihrer Privatsphäre und ihrer Selbstbestimmung. Außerdem fehlen entsprechende rechtliche Normen, auf die sich Betroffene berufen und unter denen sie ihr Recht einfordern können. Solange es hier keine Konzepte gibt, können Missbrauchstaten auch nur begrenzt angezeigt werden und werden entsprechend selten aktenkundig. 
 
ATG: Was genau verstehen Sie in Ihrem Projekt unter Gewalt?
 
Ute Leimgruber: Wir ziehen in der Regel einen personenbezogenen Begriff von Missbrauch vor und nehmen damit Menschen als Träger*innen von Rechten in den Blick. Wenn wir also von Missbrauch sprechen, verweisen wir auf Missachtungen bzw. Verletzungen des (spirituellen, sexuellen, reproduktiven usw.) Selbstbestimmungsrechts von Personen. Im Umfeld von Missbrauch in der Kirche finden diese Verletzungen fast immer innerhalb von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen statt. Der Gewaltbegriff (als Oberbegriff) kann im Kontext von Missbrauch an Erwachsenen irreführend sein, denn oft können Betroffene das Geschehene erst im Nachhinein als Missbrauch klassifizieren, eine Gewaltanwendung im engeren Sinn hat häufig gar nicht stattgefunden; teilweise sieht es sogar so aus, als läge “Zustimmung” vor und die Betroffenen glaubten selbst an die “Einvernehmlichkeit” der Handlung. Und doch, wenn diese Zustimmung durch Abhängigkeit, Verletzbarkeit (z.B. vorhergehende Traumata) seitens der Betroffenen oder Manipulation (z.B. Gaslighting) seitens des*der Täter*in zustande gekommen ist, oder wenn der*die Täter*in das Macht- und Abhängigkeitsverhältnis innerhalb eines seelsorglichen Settings ausgenutzt hat, handelt es sich (auch wenn es offenkundig nicht gewalttätig aussieht) um Missbrauch.  
 
 
ATG: Lässt sich eine Aussage darüber treffen, wie viele erwachsene Frauen im kirchlichen Kontext von Gewalt betroffen sind? Liegen hierzu Statistiken vor? 
 
Magdalena Hürten: Das ist eine Frage, die wir aufgrund des großen Dunkelfelds und der Wirksamkeit der hiding patterns wahrscheinlich nie genau beantworten können. Bisher gab es auch noch keine umfassende Studie zu dieser Frage. 1998 wurde in den USA eine psychiatrische Untersuchung zu Missbrauchserfahrungen von Ordensfrauen veröffentlicht. Die Wissenschaftler*innen Chibnall, Wolf und Duckro hatten 1164 Ordensfrauen befragt, von denen 29,3 % angaben, sexuellen Missbrauch während ihrer Zeit im Orden erfahren zu haben. In den aktuellen Studien zu Missbrauch in einzelnen Bistümern oder Ländern wird Missbrauch an Erwachsenen immer häufiger berücksichtigt. So waren unter den 391 Betroffenen, die im Rahmen der “Studie zu Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seit 1945 im Verantwortungsbereich des Bistums Mainz” identifiziert werden konnten, 59 Erwachsene (15 %). In der Studie der “Commission indépendante sur les abus sexuels dans l‘Eglise” (CIASE) zu Missbrauch in Frankreich machten Erwachsene 12,7 % der 1628 Betroffenen aus und in der “Pilotstudie zu Missbrauch in der katholischen Kirche in der Schweiz” 14 % der 921 Betroffenen. Die Zahlen sind jedoch nicht ohne weiteres vergleichbar, da unterschiedliche Definitionen von Missbrauch verwendet wurden und unterschiedliche Methoden der Erhebung. Wir gehen davon aus, dass die Zahlen weit höher sind. Wie groß das Dunkelfeld der Fälle,  die durch die Studien nicht erfasst werden konnten, aber tatsächlich ist, lässt sich bisher nicht abschätzen. 
  
 
ATG: Für alle Lesenden, die weder katholisch, noch Theolog*innen sind: Was an Ihrer Forschung lässt sich auch außerhalb der Katholischen Kirche und Theologie anwenden? 
 
Ute Leimgruber: Die katholische Kirche ist kein Sonderraum, der mit der übrigen Gesellschaft nichts zu tun hat. So sind viele der gendertheoretischen Aspekte des Missbrauchs in der katholischen Kirche Ausdruck von heteronormativen Idealen, Misogynie und Vergewaltigungsmythen, die wir auch in der Gesamtgesellschaft beobachten können. Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, werden auch vor staatlichen Gerichten einer genauen Glaubwürdigkeitsüberprüfung unterzogen, ihnen wird in den Medien vorgeworfen, persönlichen Profit aus den Vorwürfen schlagen zu wollen oder die sexuellen Handlungen in Wirklichkeit selbst gewollt oder angebahnt zu haben. In der katholischen Kirche sehen wir spezifische Ausprägungen dieser gesamtgesellschaftlichen Phänomene, sie werden spirituell aufgeladen und mit Verweis auf die göttliche Ordnung legitimiert. Auch die Vertuschungsmechanismen in der katholischen Kirche sind besonders effektiv. Zugleich können wir hier aber viel aus der Forschung zu sexualisierter Gewalt und Gewalt im Geschlechterverhältnis in der Gesamtgesellschaft lernen und durch unsere Forschung auch zur gesamtgesellschaftlichen Bekämpfung dieser Unrechtsformen beitragen. 
  
ATG: Zum Schluss vielleicht eine persönlichere Frage: Was treibt Sie an, sich in Ihrer Arbeit mit diesem Thema zu beschäftigen?
 
Magdalena Hürten: Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche zeigt auf, wie eng theologische Inhalte und theologische Praxis damit verbunden sind, und wie kirchliche Räume, Bilder und Ideale, Glaubensinhalte und -praktiken für die Anbahnung, Durchführung und Vertuschung der Missbrauchsverbrechen dienstbar gemacht werden.  
Ute Leimgruber: Daher sind wir überzeugt, dass man heute nicht mehr Theologie treiben kann, ohne die Gefährdungspotentiale der Theologie zu reflektieren und das eigene Handeln, sei es in der wissenschaftlichen oder kirchlichen Praxis, immer wieder kritisch zu hinterfragen. 
 
 
ATG: Woran arbeiten Sie aktuell? Wie geht es nach der Veröffentlichung des Online-Tutorials zur Missbrauchsprävention weiter? 
   
Ute Leimgruber: Wir erhoffen uns eine breite Rezeption des Online-Tutorials und die Einbettung in die Präventionsprogramme aller Bistümer. Es ist ausdrücklich so konzipiert, dass es in die jeweiligen Fortbildungsschienen implementiert werden kann. Wir haben bereits Anfragen aus nicht-deutschsprachigen Ländern bekommen, es besteht Interesse an einer englischen und spanischen Übersetzung – dazu fehlt uns allerdings derzeit das Geld. Wünschenswert wäre ein weiteres Tutorial dezidiert zu spirituellem Missbrauch, aber auch dazu bräuchten wir eine solide Finanzierung. 
Thematisch forschen wir beide derzeit zu epistemischer Ungerechtigkeit in Missbrauchsbezügen (Magdalena Hürten) und zu den Zusammenhängen von systemischer Vulneranz in Seelsorgesettings mit spirituellem und sexuellem Missbrauch (Ute Leimgruber). 
 
Das Interview führten Johanna Rönspies und Sr. Jakoba Zöll für die Arbeitsstelle für theologische Genderforschung der Universität Bonn.
 
Zur Person:
Magdalena Hürten ist seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik der Universität Regensburg und Mitentwicklerin des Portals missbrauchsmuster.de.
Prof.in Dr. Ute Leimgruber ist Inhaberin der Professur für Pastoraltheologie und Homiletik an der Fakultät für katholische Theologie der Universität Regensburg. Sie hat das Portal missbrauchsmuster.de gemeinsam mit ihrem Team und in Kooperation mit dem KDFB entwickelt.
 
 
Weiterführende Links:
https://www.missbrauchsmuster.de
https://www.gleichstellung.uni-bonn.de
instagram: @theologiestudieren.bonn
 
Weiterführende Literatur:
https://missbrauchsmuster.de/forschen/literatur/
 
Anlaufstellen für Betroffene:
https://nina-info.de/hilfe-telefon
https://gegengewalt-inkirche.de/

 

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