„Denn wer spirituell sein will, muss auch kirchenrechtlich sein! Ebenso wie umgekehrt spirituell sein muss, wer kirchenrechtlich ist!“ Diese These von Sabine Demel mag überraschen, denn Spiritualität und Kirchenrecht erscheinen auf den ersten Blick als Gegensätze. Die geistgewirkte Freiheit der Spiritualität scheint mit der unbeweglichen Starrheit des Kirchenrechts unvereinbar. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Spiritualität und Kirchenrecht sind aufeinander verwiesen und kommen nicht ohne einander aus. Kirchenrecht muss als religiöses Recht in Theologie, Glaube und Spiritualität wurzeln, und die Freiheit geistgewirkter Spiritualität wird durch das Kirchenrecht überhaupt erst ermöglicht und vor Missbrauch geschützt. Diese wichtige Rolle, die dem Kirchenrecht dadurch bei der Prävention von spirituellem Missbrauch zukommt, wird viel zu oft nicht wahrgenommen. Insbesondere Neue Geistliche Gemeinschaften stehen in der Gefahr, kirchliche Institutionen und Strukturen unter Berufung auf eine falsch verstandene spirituelle Freiheit abzulehnen. Die Konsequenz ist eine besondere Anfälligkeit für spirituellen Missbrauch. Die kanonische Weisheit einer angemessenen Verbindung von Spiritualität und Kirchenrecht wird in dem vorliegenden Artikel erläutert.
Zum Artikel: Geist und Leben 98 (2025), 273–281.