Exkursion in die jüdische Synagoge Koblenz
„Lecha dodi – Komm mein Freund!“, diesem eindringlichen Aufruf des Schabbat-Abends sind im Sommersemester 2025 zwölf Studierende in besonderer Weise gefolgt: Eine Führung durch die Synagoge, die Teilnahme am Schabbat-Gottesdienst sowie die Einladung zum Kiddusch im kleinen Kreise eröffneten den Teilnehmenden einen direkten Einblick in die Glaubenspraxis einer jüdischen Gemeinde und boten gleichzeitig die Möglichkeit, das Hebräische als überaus lebendige Sprache zu erleben. Die Exkursion am 04. Juli 2025 wurde vom Alttestamentlichen Seminar für die Studierenden in den Hebräisch-Sprachkursen, Lektüren und in den M 14 und LA 1-Seminaren zum Verhältnis von Judentum und Christentum aus der Perspektive des Ersten Testaments organisiert.
Charly Burg gibt dankenswerterweise einen persönlichen Einblick:
Zur inhaltlichen Vorbereitung unserer Exkursion nach Koblenz besuchte Frau Dr. Annette Boeckler am 16. Mai 2025 das Seminar „Die Überlieferungen des Ersten Testaments und ihre Bedeutung für das Verhältnis von Judentum und Christentum“. Frau Dr. Boeckler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am „International Center for Comparative Theology and Social Issues“ (CTSI) und Rabbinerin. Zunächst zeigte sie uns den Unterschied zwischen jüdischer Volkszugehörigkeit und Religion auf, denn nicht alle Jüdinnen und Juden bezeichnen sich selbst als religiös. Für religiöse jüdische Menschen hat ihre Religion eine unterschiedlich große Bedeutung. Daran anschließend stellte sie uns anschaulich verschiedene Richtungen in der heutigen jüdischen Religion vor. Frau Dr. Boeckler legte uns auch dar, dass es im Judentum Gebete zu bestimmten Tageszeiten gibt. Sie erklärte uns, dass man beispielsweise überlegt, ob man zu einer bestimmten Tageszeit noch das Achtzehnbittengebet, das zu drei Tageszeiten gebetet wird, beten kann.
Schließlich legte Frau Dr. Boeckler uns die Bedeutung der Tora dar. Sie hatte eine Torarolle mitgebracht, die auf einem hergerichteten Tisch gebettet und mit einer blauen Decke bedeckt war, die die silberne Aufschrift שׁמע ישׂראל יהוה אלהינו יהוה אחד, das Schˈma Jisrael, trug. Wir versammelten uns um den Tisch und Frau Dr. Boeckler erklärte uns, dass eine Torarolle für gläubige Jüdinnen und Juden nicht einfach ein bestimmter religiöser Gegenstand ist. Wenn zum Beispiel ein Rabbiner eine Torarolle im Flugzeug transportiert, so bucht er einen weiteren Sitz für die Torarolle und sie wird nicht im Frachtraum transportiert. Einige von uns durften die Tora auch auf dem Arm halten. Frau Dr. Boeckler zeigte uns weiterhin, wie die Tora für den Gottesdienst an eine bestimmte Bibelstelle gerollt wird. Dazu bat sie eine Person aus unserer Gruppe, eine der beiden Einzelrollen festzuhalten, während sie die Pergamentbahn mit der anderen Einzelrolle zu sich hinzog. Sie legte uns weiterhin dar, dass die Torarolle nicht mit der bloßen Hand, sondern nur mit dem Yad, dem Torazeiger, berührt werden darf. Yad bedeutet allerdings Hand auf Hebräisch. Schließlich wählte Frau Dr. Boeckler einen Abschnitt aus dem Buch Numeri aus, den eine Person von uns vorlesen durfte.
Inhaltlich bestens auf unseren Besuch in Koblenz vorbereitet, machten wir uns nun am 04. Juli zu unserem Besuch in der jüdischen Gemeinde auf. Das Gebäude der heutigen Synagogein Koblenz ist eigentlich die Trauerhalle des danebenliegenden Friedhofes. Die ehemalige Synagoge war in der Reichspogromnacht zerstört worden. Nach einer kurzen Begrüßung zeigte uns ein Gemeindemitglied diesen Friedhof. Während wir eine Allee mit Kastanienbäumen entlanggingen, erzählte er uns, dass die Muttersprache der meisten Mitglieder der Gemeinde Russisch sei. Nach der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 waren die meisten der ca. 1000 Mitglieder der Gemeinde neu zur Gemeinde hinzugekommen.
Nach der Führung über den Friedhof begleitete er uns in die Synagoge. Vor der Tür in den Raum, in dem die Gottesdienste stattfinden, zeigte er uns einen Text auf einem kleinen Papier, der in einer Mesusa, enthalten ist. Viele fromme Jüdinnen_Juden haben eine Mesusa im Türrahmen hängen. Diese Tradition leitet sich von Dtn 6,6.9 ab: „Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. […] Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.“ Anschließend setzten wir uns in die vorderen Stuhlreihen der Synagoge. Während des Gottesdienstes in dieser orthodoxen Synagoge sitzen dort die Männer und in den hinteren Stuhlreihen hinter einem kleinen Vorhang oder auf der Empore die Frauen. Vor dem Gottesdienst eröffnete uns das Gemeindemitglied die Möglichkeit, unsere offenen Fragen an ihn zu richten. So gab er uns eine Einführung in die jüdischen Initiationsriten, erläuterte uns einige der Kaschrut, Speisevorschriften, und sprach mit uns auch darüber, dass junge Menschen die Synagoge nur sehr selten besuchen. In Deutschland stehen die religiöse jüdische und die religiöse christliche Gemeinschaft also vor ganz ähnlichen Herausforderungen. Er erwähnte aber auch, dass die Gemeinde den Bau einer neuen Synagoge plane. Mit mehr Räumen wären dann auch mehr Angebote für junge Menschen möglich.
Der Gottesdienst am Freitagabend heißt „Kabbalat Schabbat“, „Begrüßung des Schabbat“. Gegen Anfang des Gottesdienstes wurde das Lied „Lecha Dodi“, „Komm, mein Freund“ gesungen, bevor auch weitere Lieder und Gebete in hebräischer Sprache gesungen wurden. Wir konnten anhand der Gebetbücher gut mitsingen und mitlesen. Einige der Gebete sprach die Gemeinde laut, andere betete jeder und jeder leise für sich. Nach dem Gottesdienst wünschte sich die Gemeinde „Schabbat Schalom“.
Nach dem Gottesdienst waren wir sehr herzlich zum traditionellen und sehr familiären Kiddusch der Gemeinde eingeladen. Dort sprach der Rabbiner die Segensworte über Brot und Wein, die anschließend miteinander geteilt wurden. Es gab auch Fisch, Shakshuka, Tee und Wodka. Für das Essen hatte sich die Gemeinde sehr viel Mühe gemacht. Wir wurden mit Freude und großer Gastfreundschaft empfangen und es war ein lustiges Zusammensein. Nach dem Essen erläuterte uns ein weiteres Mitglied der Gemeinde die Wichtigkeit einer guten Übersetzung aus dem Hebräischen. Er erwähnte auch, dass das dies besonders für uns Studierende wichtig sei. Danach verabschiedeten wir uns und machten uns mit der Bahn zurück nach Bonn.