Universität Bonn

Katholisch-Theologische Fakultät

Mittelbau-Projekte

im Rahmen des fakultären Forschungsschwerpunktes "Ambiguitäten - Identitäten - Sinnentwürfe"

Seit 2021 gibt es das sogenannte Mittelbau-Projekt der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn. Die Fakultät unterstützt ihre Nachwuchswissenschafter*innen sowohl finanziell als auch inhaltlich und organisatorisch bei der Erarbeitung und Durchführung eines selbstgewählten Forschungsprojekts. Diese Seite informiert über die abgeschlossenen Projekte und das aktuelle Vorhaben.

Normativität und Kolonialität
(Projekt 2024-2026)

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© Mittelbau KTF

Projektteam: Theresa D. van Krüchten, Sebastian Lüke, Daniel E.D. Müller (1. Sprecher), Antonia L. Wojaczek (2. Sprecherin)

Das Spannungsfeld zwischen „Normativität und Kolonialität“ steht seit mindestens zwei Jahrzehnten im Zentrum wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit vorwiegend europäischer Kolonialgeschichte. Das vorliegende Projekt knüpft an diese zunehmend auch gesellschaftlich ausgetragenen Debatten an und konzentriert sie aus theologischer Perspektive auf ihren diskursiven Kern:

Welche Strukturen, Prozesse, gedanklichen Mechanismen oder Theologien entstehen, wenn hart normative Setzungen – wie beispielsweise religiöse – auf Fremde und Fremdes appliziert werden, um es anzueignen? Wie verwenden Kolonisierende Religion, Ethik oder überhaupt Normatives, um ihre Kolonialität zu legitimieren? Wie setzen Kolonisierte imperial empfangene Religion ein, um ihre eigene Kolonisierung zu hinterfragen und die Kolonialmächte mit deren eigenen normativen Ansprüchen herauszufordern? Für alle Aspekte dieses diskursiven Feldes möchte das Mittelbauprojekt ein internationales Forum bieten.

Begrifflich setzt das Projekt hierbei zunächst am Konzept der Kolonialität an. Als sozialwissenschaftlicher Vordenker der Idee von Kolonialität als hintergründig wirkmächtiger Haltung von Kolonisierenden gilt der peruanische Soziologe Aníbal Quijano, der einen zweifachen Kolonialitätsbegriff unterschied und damit die theoretische Grundlage des Projektes legt: Er unterschied die colonialidad del poder von der colonialidad del ser.[1] Die erstgenannte Kolonialität der Macht definierte er als die hinter allen gesellschaftlichen Zusammenhängen stehende Strukturkraft, die asymmetrische Abhängigkeitsverhältnisse mit der Kolonialmacht am oberen Ende und den Kolonisierten am unteren Ende zementierte. Noch weitreichender und hintergründiger verstand er die zweitgenannte Kolonialität des Seins, die der kolonisierenden Seite ontologisch eine Existenz- und Herrschaftsberechtigung zusprach, während sie dieselbe auf Seite der Kolonisierten in Frage stellte.

Im Anschluss an Quijanos Grundlegung bezieht sich das Projekt auf die Kolonialitätstheorien von Walter Mignolo,[2] Nelson Maldonado-Torres,[3] Arturo Escobar,[4] Ramón Grosfoguel[5] und Edgardo Lander,[6] die beispielsweise auch die Kolonialität kolonialer Begrifflichkeiten analysieren und dekonstruieren. 

Während Kolonialität die eine Seite des Projektthemas bildet, steht Normativität als Inhalt, Motivation und Rechtfertigung kolonialer Aktivität auf der anderen Seite. Aus theologischer Perspektive untersucht das Projekt dabei insbesondere die koloniale Funktion religiöser Normativität. Hierbei ließen sich beispielsweise Mechanismen untersuchen, die Geltungsansprüche hinter Normen auf andere Personen, Gruppen oder Gesellschaften übertragen und ihnen aufzwängen.

Auch die Frage nach den Verbindlichkeitsansprüchen der jeweiligen Normen könnte hierbei eine Rolle spielen: Warum, so könnte eine Frage lauten, hat in einer von Europa weit entfernten Wissenschaftstradition plötzlich die scholastische Philosophie des europäischen Hochmittelalters Priorität vor indigenen Zugängen zu Wissenschaft zu besitzen? Der Kolonialismus als historische Epoche ist dabei nur eine historische Facette des Themas, dessen übergeordnetes Phänomen sich ebenso sehr aus biblischer, historischer, systematischer und praktischer Perspektive beleuchten lässt.

[1] So zum Beispiel: Aníbal Quijano, Kolonialität der Macht, Eurozentrismus und Lateinamerika, Wien/Berlin 2016, S. 50.
[2] Vgl. Walter D. Mignolo, Epistemischer Ungehorsam. Rhetorik der Moderne, Logik der Kolonialität und Grammatik der Dekolonialität, Wien/Berlin 2019; Walter D. Mignolo/Arturo Escobar, Globalization and the Decolonial Option, London 2013; Caroline Levander/Walter Mignolo, The global south and world dis/order, Bloomington 2011.
[3] Vgl. Nelson Maldonado-Torres, On the Coloniality of Being. Contributions to the development of a concept, in: Cultural Studies, Bd. 21 (2007), S. 240-270.
[4] Vgl. Arturo Escobar, Encountering Development. The Making and Unmaking Of The Third World, Princeton 1995; ders., Territories of Difference. Place, Movements, Life, Redes, Durham 2008.
[5] Ramón Grosfoguel, Colonial Subjects. Puerto Ricans in a Global Perspective, Berkeley 2003; ders./Julie Cupples, Unsettling Eurocentrism in the Westernized University, Routledge 2018.
[6] Edgardo Lander (Hrsg.), La colonialidad del saber. Eurocentrismo y ciencias sociales. Perspectivas latinoamericanas, Buenos Aires 2005.

Call for Papers: Stichtag 15.04.2024

Projektteam

Avatar Müller

Mag. theol. Daniel E.D. Müller

M.Ed., MLitt., B.A.

1. Sprecher des Projekts
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Mag. Theol. Antonia Lioba Wojaczek

2. Sprecherin des Projekts

Ringen um Religiöse Identität (Projekt 2021-2023)

Projektteam: Anno Busch, Dr. Jonas M. Hoff, Viktoria Lenz, Sarah Linnartz, Benedikt Lüttgenau, Jakob Schrage

Im Rahmen des einjährigen, fakultätsgeförderten Forschungsprojektes "Ringen um religiöse Identität. Eine multiperspektivische theologische Annäherung" nehmen die beteiligten Nachwuchswissenschaftler*innen religiöse Identitäten aus den verschiedenen theologischen Fachdisziplinen (biblisch, historisch, systematisch und praktisch) in den Blick und erarbeiten fachspezifische Fragestellungen im interdisziplinären Austausch. 

Der Begriff „Identität“ zählt nicht erst seit den Diskussionen um die sogenannte Identitätspolitik zu den Leitvokabeln öffentlicher Diskurse. Häufig ist dabei auch von religiöser Identität die Rede. Gefragt wird dann nach dem spezifischen Anteil von Religion und Religiosität im Prozess der Identitätskonstruktion. Geklärt ist aber keineswegs, was unter Identität überhaupt verstanden wird. Schon ein kurzer Blick in die Forschung genügt, um die ausgeprägte Vielfalt unterschiedlicher Identitätsbegriffe und -konzepte wahrzunehmen (vgl. u. a. Zarnow 2010, Sautermeister 2013). Die Bestimmung des Begriffs hängt maßgeblich von theoretischen Vorannahmen ab. 

Das Projekt möchte die vorhandene Vielfalt von wissenschaftlichen Zugängen zum Begriff transparent machen. Es geht dennoch von der Beobachtung aus, dass auch die öffentlichen Debatten um (religiöse) Identität trotz eines vagen Begriffsverständnisses den Begriff produktiv machen. Strukturanalog zu anderen Großkonzepten wie Religion wird der Identitätsbegriff deshalb zunächst als „offener Signifikant“ (Zander 2016, S. 20f.) verstanden. Er kann vor dem Hintergrund unterschiedlicher Theorien je unterschiedlich bearbeitet und interpretiert werden, als Begriff kommt ihm grundsätzlich aber trotzdem eine gewisse Bindekraft zu, die es ermöglicht, die theoretische Reflexion erst einmal zu unterlaufen. Sie wird damit nicht ausgespart, wohl aber aufgeschoben und in die Verantwortung der Auseinandersetzung im Einzelnen gestellt. Aus diesem Grund schreibt das Projekt keine einheitliche These vor, sondern versucht, sich einem viel diskutierten Megabegriff theologisch zu nähern. 

Die Annäherung soll aus der Perspektive aller theologischen Fachgruppen erfolgen (biblisch, historisch, systematisch und praktisch). Der Komplexität des Identitätsbegriffs korrespondieren die vielfältigen methodischen Zugänge der Theologie. Darin besteht das Versprechen des Forschungsprojektes. Seine Relevanz resultiert also einerseits aus der öffentlichen Wucht unterschiedlicher religionsbezogener Identitätsdiskurse in Kirche und Gesellschaft, andererseits aus der daraus folgenden Notwendigkeit für die Theologie, sich mit der Identität des eigenen Faches zu beschäftigen, und sich nicht zuletzt immer auch darüber bewusst zu sein, dass bei der Beschäftigung mit Identität unweigerlich Identität prozessiert wird. Der Begriff weist in diesem Sinne eine retorsive Struktur auf (ähnlich wie die Begriffe Theorie, Sprache etc.).

Ziele

  • Fachwissenschaftlich-theologische Reflexion des Identitätsbegriffs als offener Signifikant
  • Offenlegung der retorsiven Struktur von Identitätsaushandlungsprozessen
  • Aktivierung der Methodenvielfalt der einzelnen Fächer zu einem Begriff
  • Transfer im Rahmen der forschungsnahen Lehre
  • Transfer in eine breitere Öffentlichkeit und Wissenschaftskommunikation


Publikation und Book-Release

Anno Busch, Jonas Maria Hoff, Viktoria Lenz, Sarah Linnartz, Benedikt Lüttgenau, Jakob Schrage (Hg.):
Ringen um religiöse Identität: Eine multiperspektivische Annäherung, Ambiguitäten-Identitäten-Sinnentwürfe Bd. 2, Freiburg (Herder) 2023

Präsentation der neuen Publikationsreihe 2023

Präsentation der Reihe auf den Seiten des Herder-Verlags

Projektteam

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Anno Busch

3.143

Avatar Hoff

Jonas Maria Hoff

R. 03-073

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Viktoria Lenz

Raum 03.097 (Langbau)

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Sarah Linnartz

R. 2.018

Avatar Lüttgenau

Benedikt Lüttgenau

03-070

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Jakob Schrage

R. 03-107


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